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Datum : 11.10.1995
Nr.   : 563
Thema : Medien / Gysi


Landgericht bezweifelt Objektivität des Gauck-Gutachtens

Der Pressesprecher der PDS im Bundestag, Jürgen Reents, teilt mit:

Durch Pressemitteilung vom 15.9.95 wurde bereits darüber informiert, daß das Landgericht Berlin eine Klage der »Berliner Zeitung« gegen Gregor Gysi abgewiesen hat. Mit der Klage hatte die »Berliner Zeitung« auf der Grundlage des Gauck-Gutachtens über Gregor Gysi begehrt, diesen Gysi künftig einen »Stasi-Spitzel« nennen zu dürfen.

Inzwischen liegt das schriftliche Urteil mit Begründung vom 14. September 1995 vor. Aufgrund des Klagegegenstandes war das Landgericht Berlin veranlaßt, sich mit dem Gauck-Gutachten auseinanderzusetzen. Zu diesem Gutachten heißt es auf den Seiten 18 und 19 der Urteilsbegründung wörtlich wie folgt:

»Soweit nun das Gauck-Gutachten den Versuch unternimmt, aufgrund einer Gesamtschau bzw. -würdigung der vorgefundenen Unterlagen den Beklagten der jahrelangen Zusammenarbeit mit dem MfS zu überführen, vermag die Kammer sich des Eindrucks nicht zu verwehren, daß es bei der Erstellung des Gutachtens an der gebotenen Objektivität und Neutralität gefehlt hat. Es fällt auf, daß für den Beklagten sprechende Umstände - z.B. das Fehlen einer Erfassung vor Anlegung des IM-Vorlaufs; der Abschlußbericht des IM-Vorlaufs; die gegen den Beklagten gerichtete operative Personenkontrolle ab 1986 - entweder als unerheblich behandelt oder sogar zu Lasten des Beklagten gewürdigt werden, während Zweifel an den Unterlagen, die gegen den Beklagten sprechen, nicht etwa dazu führen, deren Beweiskraft in Frage zu stellen. So drängt sich für die Kammer z.B. die Frage auf, weshalb der Beklagte trotz angeblich reger Tätigkeit seit 1978 für das MfS entgegen aller von der Stasi zur Perfektion erhobenen bürokratischen Gepflogenheiten bis zur Anlegung des IM-Vorlaufs »Gregor« am 18. September 1980 nicht als Mitarbeiter (welcher Kategorie auch immer) registriert war. Unklar ist weiter, weshalb sein Führungsoffizier Lohr ihn mal als IM-Vorlauf »Gregor« (z.B. am 7.12.1978, als es einen solchen Vorlauf noch gar nicht gab), mal als GMS »Notar«, mal als IM »Notar« bezeichnet haben soll. Eine auch nur halbwegs überzeugende Begründung vermag das Gutachten nicht zu liefern. Insbesondere spricht gegen eine Sonderstellung bzw. -behandlung des Beklagten in den Reihen des MfS der Abschlußbericht vom 13. August 1986, wonach der Beklagte für die Belange des MfS nachgerade wertlos ist. Die danach angeordnete operative Personenkontrolle wird im Gutachten sogar gegen den Beklagten, als Beleg für seine Zusammenarbeit mit dem MfS, gewertet, obgleich doch der Beklagte, dessen Telefon abgehört wurde, Objekt der Überwachung war. Mit einer gegen andere Stasi-Abteilungen gerichteten Konspiration läßt sich dieser Vorgang nicht überzeugend erklären. Der Beklagte weist unter anderem zu Recht darauf hin, daß er erfolgreich die Interessen seiner Mandanten Bahro, Havemann, Bohley und Matthies - gegen die Interessen des MfS vertreten hat, so daß auch für die entgegengesetzte Einschätzung in der Einführung des Gutachtens, er habe bei der anwaltlichen Vertretung Interessen des MfS mit durchzusetzen geholfen, ein Beleg fehlt. Ein solcher kann auch nicht in den vom Beklagten eingeräumten Unterredungen mit der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED gesehen werden, wie die Klägerin meint. Denn es ist davon auszugehen, daß solche für eine erfolgreiche anwaltliche Tätigkeit wie der des Beklagten unter den Verhältnissen in der ehemaligen DDR erforderlich waren. Wie die Gauck-Behörde in dem gegen sie vom Beklagten eingeleiteten Verwaltungsgerichtsverfahren geltend macht, soll es sich denn bei ihren Feststellungen auch lediglich um ihre Schlußfolgerungen, nicht aber um die Behauptung von Tatsachen handeln. Da die Würdigung der Unterlagen im Gutachten den Eindruck hinterläßt, daß sie einseitig zu Lasten des Beklagten ausgefallen ist, kann das Gutachten die Klage nicht stützen; den Beweis für eine aktive Tätigkeit des Beklagten zu Diensten und in Erfüllung der vom MfS wahrgenommenen Aufgaben erbringt es nicht. Weitergehende Tatsachen, die die Bezeichnung des Beklagten als »Stasi-Spitzel« rechtfertigen könnten, hat die Klägerin nicht vorgetragen.«

Es bleibt abzuwarten, ob der Immunitätsausschuß sich im Rahmen seines Überprüfungsverfahrens gegen Gregor Gysi von solchen richterlichen Zweifeln anstecken läßt.

PS:Auf Wunsch stellen wir Ihnen gerne das gesamte Urteil zur Verfügung.

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