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Datum : 04.06.1995
Nr.   : 345
Thema : Gauck / Gysi


Lederer und Müller ersuchen Bundestagspräsidentin um Gespräch

In einem Brief an die Bundestagspräsidentin haben die Mitglieder der PDS im Immunitätsausschuß, Andrea Lederer und Manfred Müller (stellv.), heftige Kritik am Überprüfungsverfahren des Ausschusses gegen Gregor Gysi geübt. Sie schreiben, daß die Atmosphäre in der Sitzung am 1. Juni »voller Aggressivität« gewesen sei und sie den Eindruck gehabt hätten, »vor einem Tribunal zu sitzen, dessen Urteil hinsichtlich der Überprüfung des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi bereits vor Gewährung rechtlichen Gehörs und Beratung des Gutachtens im Ausschuß feststeht.« Gregor Gysi sei u.a. vorgeworfen worden, daß er sich zum Gutachten geäußert hätte, obwohl er damit nur auf Veröffentlichungen reagiert hätte. («Spiegel«-Artikel, der offenkundig auf Informationen aus der Gauck-Behörde beruhte, bevor das Gutachten im Ausschuß übergeben und entsiegelt worden war)

»Nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten« müßte der Ausschuß nunmehr die Stellungnahme des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi abwarten und zum gegebenen Zeitpunkt all dies bewerten und dazu einen Beschluß fassen. Stattdessen sei aber auf Antrag der CDU-Abgeordneten am 2. Juni kurzfristig eine Sondersitzung einberufen worden, auf der »entgegen der Ziffer 5 der Absprache zur Durchführung der Richtlinien gemäß   44 b Abgeordnetengesetz« eine Veröffentlichung des Gutachtens mit einfacher Mehrheit beschlossen wurde. Dies geschah zudem trotz des Hinweises des Ausschußvorsitzenden, daß für eine solche Entscheidung gemäß dieser Richtlinie auf jeden Fall eine 2/3-Mehrheit nötig sei.

Damit seien »sämtliche bisher gültigen Kriterien für die Arbeit des Ausschusses aufgehoben worden«, heißt es weiter in dem Brief von Andrea Lederer und Manfred Müller. Es liege eine »Verletzung der vom Bundestag beschlossenen Richtlinien einschließlich der Absprache zur Durchführung der Richtlinien vor. Der Ausschuß kann Bundestagsbeschlüsse nicht selbst aufheben, wie dies hier geschehen ist. Die Mitglieder des Ausschusses waren auch darüber informiert, daß das Bundesverfassungsgericht in einem Schreiben angekündigt hat, wann es über den Antrag des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung entscheiden will, und daß es davon ausgeht, daß der Ausschuß bis dahin keine Veröffentlichung vornehmen wird. Darüber hatte der Ausschußvorsitzende am 1. Juni informiert.«

Andrea Lederer und Manfred Müller bitten die Bundestagspräsidentin um eine Aussprache über diese Vorgänge. Sie sähen sich außerstande, sich »weiter einer solchen tribunalartigen Atmosphäre auszusetzen, die Verletzung der Beschlüsse des Bundestages und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit hinzunehmen und dies alles auch noch durch unsere Anwesenheit zu legitimieren.« Unter den beschriebenen Umständen hätten sie die Absicht, sich »an den Sitzungen des Ausschusses bei der hier in Rede stehenden Frage nicht mehr zu beteiligen«, und würden überlegen, »der Abgeordnetengruppe in der nächsten Sitzung die Empfehlung zu geben, sich gänzlich aus der Arbeit des Ausschusses in Angelegenheiten des   44 b Abgeordnetengesetz zurückzuziehen.« Die Aussprache erbitten sie deswegen »so schnell wie möglich«, am besten noch in der kommenden (sitzungsfreien) Woche.

Jürgen Reents, Pressesprecher

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