Aus dem Deutschen Bundestag:

 

zum Waffengebrauch im Grenzdienst – Debatte vom 12. Juni 1953

Deutscher Bundestag – 271. Sitzung, Bonn, Freitag, den 12. Juni 1953

Seite13421 (B) bis Seite 13425 (B) des Protokolls

Präsident Dr. Ehlers: Meine Damen und Herren! Wir fahren in der gestrigen Tagesordnung fort. Ich rufe auf Punkt 14:

Beratung des mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (24. Ausschuß) über den Antrag der Abgeordneten Günther, Frau Dr. Weber (Essen) und Genossen betreffend Schußwaffengebrauch im Zolldienst (Nrn. 4254, 3914 der Drucksachen).

Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Gleisner. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.

Gleisner (SPD), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 246. Sitzung des Deutschen Bundestags wurde der Antrag der Abgeordneten Günther, Frau Dr. Weber (Essen) und Genossen, Drucksache Nr. 3914, betreffend Schußwaffengebrauch im Zolldienst dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zu Beratung überwiesen. Der Ausschuß hat in seiner Sitzung vom 4. Februar 1953 diesen Antrag beraten. Es bestand Einmütigkeit darüber, daß die Bundesregierung dem Bundestag ein Gesetz über Schußwaffengebrauch vorlegen solle. Die Beratung hat klar gezeigt, daß die uneinheitlichen Bestimmungen der einzelnen Länder über Schußwaffengebrauch unzulänglich sind und häufig zu Beanstandungen geführt haben. Die jüngsten Ereignisse geben zu Besorgnis Anlaß und fordern eine baldige Regelung auf Bundesebene, damit weitere Todesfälle und Unglücksfälle vermieden werden können.

Der Ausschuß empfiehlt der Bundesregierung, sich mit den Länderregierungen über die Grundsätze für ein einheitliches Gesetz über Schußwaffengebrauch zu unterhalten und dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf zur Beratung vorzulegen. Dieses Gesetz soll für alle Bundesvollzugsorgane Anwendung finden, so für den Bundesgrenzschutz, den Zolldienst, das Bundeskriminalamt und die Bahnpolizei.

Punkt 2 des Antrags, in dem die Einrichtung von Ausschüssen bei den Regierungspräsidenten gefordert wird, wurde nach kurzer Debatte abgelehnt.

Der einstimmige Antrag des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung Drucksache Nr. 4254 hat folgenden Wortlaut:

Die Bundesregierung wird ersucht, einen Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Waffengebrauchs vorzulegen, wobei die besonderen Verhältnisse des Zolldienstes und des Bundesgrenzschutzes zu berücksichtigen sind.

Ich bitte das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen.

Präsident Dr. Ehlers: Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Aussprachezeit von 40 Minuten vor. Herr Abgeordneter Günther, bitte.

Günther (CDU), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, der seinerzeit gestellt worden ist, hat an und für sich im Grenzgebiet wie ein Wunder gewirkt. Denn die Unglücksfälle, die im vergangenen Herbst in auffallender Häufigkeit auftraten, haben sich nicht mehr in dem Maße ereignet. Dies ist eine Zeichen dafür, daß die Zollverwaltung einiges getan hat, um auf die Zollbeamten einzuwirken. Aber der letzte Unglücksfall, der in der vergangenen Woche im Bezirk Trier vorgekommen ist, läßt uns doch erkennen, wie notwendig es ist, die jetzigen Gesetze zu überprüfen. Daher begrüße ich es, daß der Ausschuß diesen Antrag aufgegriffen hat, und möchte bitten, ihm zuzustimmen.

Zu Punkt 2 unseres Antrags bedauere ich es, daß in den Ausschüssen zuwenig Abgeordnete anwesend waren, die aus den Grenzbezirken kommen oder die Verhältnisse an der Grenze kennen. Im Interesse der Grenzbevölkerung, aber auch im Interesse der Zollbeamten selbst wären derartige Ausschüsse bei den Regierungspräsidenten außerordentlich wertvoll.

Sie wissen, seit 2000 Jahren stand der Zöllner nie hoch im Kurs. Schon damals wunderte man sich nach der Bibel darüber, daß der Herr bei einem Zöllner einkehrte. So wird der Zollbeamte zum Teil auch heute noch bei der Grenzbevölkerung "geachtet" und dementsprechend behandelt. Das wollen wir ändern, und dieses Ziel schwebt auch mir vor, als der Antrag gestellt wurde, entsprechende Ausschüsse einzurichten, damit die Spannungen, die immer wieder auftreten, beseitigt, aber auch manche Maßnahmen, die am grünen Tisch getroffen werden, überwacht werden; denn die Zollverwaltungen werden ja nicht in dem Maße parlamentarisch kontrolliert wie etwa die Arbeit einer Stadtverwaltung von den Stadtverordneten. Aus diesem Grunde wäre ein derartiger Ausschuß unbedingt notwendig gewesen. Ich will jedoch den Antrag nicht wiederholen. Wenn wir bei der Kaffeesteuerdebatte, die nächste Woche vor dem Plenum noch einmal stattfinden wird, von den Morgenthau-Absichten, die damals zu der Kaffeesteuer geführt haben, wegkommen, werden wir auch an der Grenze wieder geordnete Verhältnisse bekommen. Ich glaube, daß man dann noch einmal ergiebig über den Zoll sprechen kann.

Präsident Dr. Ehlers: Das Wort hat Herr Abgeordneter Jacobs.

Jacobs (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, nicht der Meinung sein zu können, die Herr Kollege Günther zum Ausdruck gebracht hat, daß der Antrag vom Dezember vergangenen Jahres bereits entscheidende Auswirkungen auf die Maßnahmen der Zollbehörden in ihrer Gesamtheit gehabt habe. Eben die quasi makabre Aktualität des Vorfalls am vergangenen Samstag in meinem Heimatbezirk zwingt uns, bei der Beratung dieses Antrags mit aller Entschiedenheit zu verlangen, daß nicht irgendwann, sondern daß jetzt Entscheidendes geschieht, nachdem es in dem langen Zeitraum seit Einbringung des Antrages, vom Dezember vorigen Jahres bis heute, offenbar versäumt worden ist, solche Richtlinien an die Zollverwaltung herauszugeben, so daß Vorfälle wie die vom vergangenen Samstag einfach unmöglich sind.

Sie müssen mir erlauben, gerade im Hinblick darauf, daß, gemessen an der sonstigen Art der Berichterstattung, über diese Dinge verhältnismäßig wenig in die Öffentlichkeit gedrungen ist, einiges von dem zu schildern, was sich dort getan hat. Es ist ein Unterschied, ob im Zuge von Gewaltmaßnahmen, die irgendwelche Verbrecher gegen die Ordnungsorgane anwenden, Schüsse fallen oder ob, wie am vergangenen Samstag, am hellen Tage weitab von der Grenze in einem Gebiet, in dem in den letzten Jahren so gut wie keine Aufgriffe erfolgt sind, auf das also die Bezeichnung "sündige Grenze" weiß Gott nicht angebracht wäre, ein Mann, der zwar, wie die einseitige Darstellung berichtet, des Schmuggels überführt werden konnte, von einem Beamten in Zivil mit dem Karabiner erschossen wird.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Und das, obwohl nach mir gewordenen Informationen die Schießbestimmungen für die Zollbeamten dahin auszulegen sind, daß Karabiner am Tage überhaupt nicht, sondern nur in der Nacht verwandt werden dürfen und dann nur zur Stellung flüchtiger Autos. Hier hat es sich doch darum gehandelt, daß ein sicherlich krimineller Mensch, der nach der Darstellung der Zollverwaltung – eine andere liegt noch nicht vor – im Saargebiet beheimatet war und dort wegen krimineller Delikte wiederholt bestraft worden sein soll, im Raum Hermeskeil angeblich Schmuggelgut verkauft hat, daß das einem Zollbeamten mitgeteilt worden ist, der zufällig nicht im Dienst war und nun nichts Eiligeres zu tun hatte, als irgendwohin zu laufen, wie es heißt, sich einen Karabiner auszuleihen und dann auf den Mann, nachdem er auf wiederholte Anrufe nicht stehengeblieben ist, nach zwei Warnschüssen zu schießen. Natürlich hat wieder das Opfer – wie es in der Darstellung heißt – den Fehler begangen, im Augenblick des auf die Beine gezielten Schusses sich zu bücken, – wie wir immer wieder feststellen, daß die Opfer, die ja nachher kein Zeugnis mehr geben können, weil sie tot sind, das Gegenteil dessen tun, was der Scharfschütze erwartet, daß sie, wenn er beabsichtigt, ihnen nur ins Bein zu schießen, in eine Stellung gehen, die es unmöglich macht, das zu tun.

Ich erwähne das nur, um den Nachweis dafür zu erbringen, wie zwingend die Maßnahmen sind, vor allem aber auch im Hinblick auf die Rechtsstellung der Beamten selbst, die ja nicht mehr ein noch aus wissen. Die Beschwerden über diesen Vorfall und das gebieterische Verlangen, mich um diese Dinge in meiner Eigenschaft als Volksvertreter zu kümmern, kamen ausnahmsweise nicht aus der Zivilbevölkerung, sondern von Beamten der Zollverwaltung, deren Namen zu nennen – wie sie begreifen werden – ich nicht in der Lage bin. Es geht darum, sie aus dieser unmöglichen Situation herauszubringen. Mir ist mitgeteilt worden, daß der Leiter des Hauptzollamtes in Trier noch kürzlich informatorisch erklärt haben soll, daß er jeden, der nicht nach einem zweiten Warnschuß einen gezielten Schuß abgebe, disziplinarisch zur Verantwortung ziehen wolle.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Wieweit das zutrifft, kann ich im einzelnen nicht beurteilen, da mir auf eine entsprechende Anfrage von der Finanzverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz mitgeteilt wurde, daß der ganze Vorfall dem Herrn Bundesfinanzminister übergeben worden sei und man daher nicht in der Lage sei, mich darüber hinaus zu informieren. Ich solle mich dieserhalb an den Herrn Bundesfinanzminister wenden. Das tue ich jetzt, wenn auch nur an seinen Platz, in der Hoffnung, daß das, was hier gesagt wird, ihm zu Ohren kommt, und in der Hoffnung, daß dieser Fall nicht nur über den bürokratischen Weg seine Erledigung findet. Denn dann würde man erst zu Entscheidungen und Ergebnissen kommen, wenn wieder einige Unfälle passiert sind.

In der letzten Zeit ist in Deutschland infolge der gesamten politischen Entwicklung eine Gruppe von Leuten wiederum in zunehmendem Maße der Meinung, auch besondere Rechte zu haben, weil sie Uniform tragen. Der Vorfall in Hermeskeil, um den es sich hier handelt, steht ja nicht allein da. Ich darf darauf hinweisen – das war schon Gegenstand einer Anfrage in der vergangenen Fragestunde –, daß auf einem Flugplatz ebenfalls im Bezirk Trier, in Spangdahlem, Leute, die ebenfalls in Uniform steckten, eine quasi Strafexpedition gegen ein ganzes Dorf unternommen haben, weil sie der Auffassung waren, als Träger einer Uniform dazu berechtigt zu sein, Kollektivstrafmaßnahmen gegen ein Dorf zu unternehmen, nachdem einem einzelnen von ihnen infolge einer Schlägerei angeblich irgend etwas passiert ist.

Wogegen wir uns mit Leidenschaft und mit Entschiedenheit zur Wehr setzen, ist, daß in Deutschland wieder mit der Mißachtung des zivilen Lebens begonnen wird.

(Sehr gut! bei der SPD und bei der KPD)

Diesen Leuten muß das Bewußtsein wieder nahegebracht werden, daß alles andere, auch wenn es Uniform trägt, nur Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck zu sein hat und daß es ausschließlich dazu da ist, den Bedürfnissen der zivilen Bevölkerung zu dienen. Ich wünsche deshalb, daß der verantwortliche Leiter, und in diesem Fall nach meiner Auffassung intellektuelle Urheber des Vorfalls, nämlich der Leiter des Hauptzollamtes in Trier entsprechend zur Verantwortung gezogen wird für den Fall, daß er wirklich erklärt hat, er ziehe jeden zur Verantwortung, wenn er nach einem zweiten Warnschuß nicht einen gezielten Schuß abgebe. Was heißt es beispielsweise, meine Damen und Herren, wenn dieser Mann auf mein Telegramm hin seiner vorgesetzten Dienstbehörde gegenüber erklärt, das Bundesfinanzministerium habe angeordnet, Karabiner anzuwenden, um den größeren Unsicherheitsfaktor, der beim Pistolengebrauch entstehe, auszuschalten? Unsicherheitsfaktor – für wen? Für das Opfer, das die Chance hätte, von einem Pistolenschuß nicht sofort getötet zu werden? Oder ein Unsicherheitsfaktor für den, der die Waffe anwendet, von dem man also quasi verlangt, ganze Arbeit zu leisten und, wenn er schon schießt, den Betreffenden möglichst zu liquidieren? Meine Damen und Herren, wir haben aus gutem Grund, glaube ich, und unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung, in der gerade unser Volk sich befindet, die Todesstrafe im Grundgesetz abgeschafft. Auch dieses Haus hat sich gelegentlich einer Debatte in seiner Mehrheit noch einmal dazu bekannt, die Todesstrafe für Delikte abzuschaffen, die, was die menschlicher Gesellschaft anlangt, weiß Gott schwerwiegender Natur sind.

Wir möchten nicht, daß über den Umweg leichtfertiger Schießerlasse oder dadurch, daß Leute, wenn sie eine Waffe in die Hand bekommen, der Meinung sind, nun schießen zu müssen, für ein Delikt wie Schmuggel die Todesstrafe wieder eingeführt wird.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Ehlers: Als Beauftragter der Bundesregierung hat der Leiter der Zollverwaltung, Herr Ministerialdirektor Dr. Schillinger, das Wort.

Dr. Schillinger, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Zollbeamte Weiler befand sich im Urlaub in Zivil im Zollgrenzbezirk. Ein Zollgrenzdienstbeamter ist nach den Gesetzen – nach der Reichsabgabenordnung und der Strafprozeßordnung – und nach den Dienstvorschriften verpflichtet, jederzeit ihm bekanntwerdende Zuwiderhandlungen gegen die Zoll- und Steuergesetze aufzugreifen und zu verfolgen. Das gilt auch während eines Urlaubs.

(Zuruf von der SPD: Netter Urlaub ist das!)

Der Zollgrenzdienstbeamte kann von seinen Befugnissen auch Gebrauch machen, wenn er sich in Zivil befindet. Er muß jedoch dem Betroffenen gegenüber einwandfrei als Zollgrenzdienstbeamter erkennbar sein dadurch,

(Zuruf links: durch Karabiner!)

daß er sich ihm gegenüber als solcher ausweist oder sonst erkennbar macht oder daß seine Zollgrenzdienstzugehörigkeit durch das Zusammenwirken mit einem uniformierten Beamten ersichtlich wird.

(Zuruf links: Oder mit Schußwaffen!)

Beide Voraussetzungen waren gegeben. Der Beamte Weiler hatte sich

(Zuruf links: Unerhört!)

bereits beim ersten Ansprechen des Schmugglers vor Beginn der Diensthandlung zweifelsfrei als Zollgrenzdienstbeamter zu erkennen gegeben.

(Abg. Dr. Menzel: Durch was denn?)

Der Beamte hat auch im Laufe der weiteren Verfolgung des Schmugglers für den Schmuggler erkennbar mit den uniformierten Beamten der motorisierten Zollgrenzaufsichtsstelle Hermeskeil zusammengewirkt.

(Abg. Dr. Menzel: Hat er denn eine Uniform angehabt?)

– Er war in Zivil, wie ich bereits ausführte,

(Abg. Dr. Menzel: Na also!)

und hat mit den uniformierten Beamten der Grenzaufsichtsstelle Hermeskeil zusammengewirkt. Aus den Zurufen des Schmugglers selbst ist ohne weiteres festzustellen, daß der Schmuggler keinen Zweifel über die Funktion des Beamten gehabt hat.

(Zuruf von der SPD: So, so? Woher wissen Sie das denn?

Eine Anordnung der Bundesfinanzverwaltung, daß Karabiner nur nachts auf eventuell fliehende Autos eingesetzt werden dürfen, besteht nicht.

(Zuruf links: Leider!)

Die Einbeziehung von Hermeskeil in den Zollgrenzbezirk entspricht den taktischen Notwendigkeiten der Grenzüberwachung. Der Zollgrenzbezirk ist durch Rechtsverordnung der Oberfinanzdirektion Koblenz auf Grund gesetzlicher Ermächtigung in § 4 Abs. 2 des Zollgesetzes festgelegt worden. Die Verordnung ist vom 17. September 1952 – Bundesanzeiger Nr. 210 vom 29. Oktober 1952 –.

Es entspricht nicht den Tatsachen, daß der Vorsteher des Hauptzollamtes Trier, Regierungsrat Weskamp, angeblich informatorisch mitgeteilt hat, jeder Beamte, der nach zweimaligem Warnschießen nicht gezielte Schüsse abgibt, würde von ihm zur Verantwortung gezogen.

Auch im Hauptzollamtsbezirk Trier werden die Zollgrenzdienstbeamten laufend in der Anwendung von Polizeigriffen ausgebildet. Die Umstände im vorliegenden Fall ließen aber die Anwendung von Polizeigriffen nicht zu.

Im übrigen darf darauf hingewiesen werden, daß die polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zur Klärung des Falles und zu der nach den Strafgesetzen erforderlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Waffengebrauchs noch andauern. Das Ergebnis dieser Prüfung wird abzuwarten sein.

(Zurufe links: Kopfjäger! – Höchste Zeit, daß sie verschwinden!)

Präsident Dr. Ehlers: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.

Dr. Mende (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir scheint, daß man mit Zurufen wie "Kopfjäger" oder mit einem Satz, den der sehr verehrte Kollege Jacobs gebraucht hat, von der "Mißachtung des zivilen Wesens durch die Uniform", die er bereits wieder beobachten könne, das Problem bei weitem überspitzt.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Was auch ich beklage, Herr Kollege Jacobs, ist jener geschilderte Fall. Aber ich kann mir nach den beiden Darstellungen noch kein abschließendes Urteil bilden. Audiatur et altera pars – man muß erst das Ergebnis einer richterlichen Untersuchung abwarten und dann seine Schlußfolgerungen ziehen.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Ich bedauere allerdings, daß nicht der Herr Finanzminister oder sein Staatssekretär als die beiden politisch dem Hause verantwortlichen obersten Dienstherren hier im Parlament dazu Rede und Antwort stehen.

(Lebhafte Zustimmung in der Mitte und bei der SPD.)

Ich habe das Gefühl, daß diese Vorkommnisse, wie so oft, auf den Schultern des kleinen Mannes ausgetragen werden.

(Erneute Zustimmung in der Mitte und bei der SPD.)

Wir machen Gesetze und Verordnungen und wollen die Unversehrtheit des Bundesgebietes und seiner Wirtschaft sicherstellen. Wenn dann in Verfolg und in Ausführung jener Gesetze und Verordnungen derartige Zwischenfälle passieren, ist es allerdings richtig, nach den Ursachen zu forschen. Es ist aber falsch, immer nur den Grenz- und den Zollbeamten als den Schuldigen hinstellen zu wollen, nach dem alten Motto: Nur der kleine Mann ist schuld und den Letzten beißen die Hunde.

(Zustimmung.)

Vielleicht sind die Richtlinien für den Waffengebrauch und für die Abwehr lückenhaft, wie das ja aus der Ausschußdrucksache Nr. 3914 hervorgeht. Ich möchte jedoch nicht, daß man die Schuld auf jene Tausende von Zollbeamten abwälzt, die für uns alle in mühseliger Tag- und Nachtarbeit auf sehr gefährlichem Posten stehen.

Ich meine, wenn man sich der Gefahr entziehen will, dann soll man nicht schmuggeln. Auch vor der Bundestagswahl lehne ich es ab, selbst wenn dabei manche Schmugglerstimme im Aachener Raum verlorengeht, etwa hier so zu tun, als ob der Schmuggler der Märtyrer und der Zollgrenzbeamte der Verbrecher wäre.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Ich wiederhole, wer Zwischenfällen entgehen möchte, soll den Schmuggel gefälligst meiden.

(Sehr richtig in der Mitte.)

Im übrigen habe ich mich in der Zollgrenzschule in Bonn überzeugen können, daß sogar zwei aus amerikanischem Armeebesitz stammende Straßenpanzerwagen zum Schmuggel verwendet werden.

Wir wissen außerdem, daß die Agenten und Infiltranten nicht so dumm sind, ausgerechnet über die Zonengrenze zu uns zu kommen. Sie wählen den viel bequemeren Weg über Frankreich, über Holland oder über Belgien und gehen hier durch die offene Tür im Aachener Raum.

(Abg. Niebergall: Sie benutzen amerikanische Flugzeuge!)

Wir sollten auch darauf und nicht nur auf den Kaffee unser Augenmerk richten.

Ich möchte daher vorschlagen, daß der Herr Bundesfinanzminister oder sein Staatssekretär zumindest im Zollausschuß baldmöglichst lückenlos über die Vorgänge berichtet und gleichzeitig Vorschläge darüber macht, wie auf der anderen Seite tragische Zwischenfälle und Unfälle vermieden werden können, wie auf der anderen Seite aber auch die Sicherheit und das Leben der Zollgrenzschutzbeamten und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit gewahrt werden können. Sie sollen nicht Prügelknaben, vielleicht sogar des Parlaments, sein. Ich entsinne mich, daß der Herr Kollege Menzel, der ja vier Jahre lang der oberste Dienstherr der Polizei Nordrhein-Westfalens gewesen ist, sich einmal bitter beklagt hat, daß sich ein Polizist, der nur mit 5 Schuß bewaffnet war, von einem Verbrecher erschießen lassen mußte, der sich nicht an die alliierten Kontrollbestimmungen hielt, sondern 8 Schuß in seinem Magazin hatte. Herr Kollege Menzel hat damals mit Recht die mangelhafte Ausrüstung und jene gebundenen Hände der Polizeibeamten beklagt. Vielleicht gilt im Hinblick auf die beiden Straßenpanzerwagen dasselbe auch für manchen Zollbeamten, der heute in ähnlicher Situation steht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Präsident Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Jacobs!

Jacobs (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Vertreters des Bundesfinanzministeriums, aber auch die des Herrn Kollegen Dr. Mende zwingen mich doch, im Interesse der Wahrheit einiges zu sagen, vor allem das eine oder andere richtigzustellen. Die vorbereitete Antwort des Vertreters des Bundesfinanzministeriums ist wohl eine Erwiderung auf eine telegraphische Bitte meinerseits an das Hauptzollamt Trier, sich zu einigen Dingen zu äußern. Herr Bundesfinanzminister, Sie hätten doch in diesem Falle höchstens sagen können, die Darstellung des Leiters des Hauptzollamtes Trier besage, daß er das und das nicht gesagt habe, obwohl die Behauptung, er habe niemals eine Instruktion gegeben, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, im Widerspruch zu dem steht, was er in einer Presseveröffentlichung selbst erklärt hat. Er hat darin gesagt, niemals erklärt zu haben, daß ein Zollbeamter, der nach zwei Warnschüssen keinen gezielten Schuß abgebe, zur Verantwortung gezogen würde; er habe sich nur gegen eine wilde Schießerei an der Grenze durch unkontrollierte Warnschüsse gewandt, die zur Schmuggelbekämpfung ungeeignet sei. Nun frage ich Sie, was ist daraus zu entnehmen, wenn man sich gegen eine wilde Schießerei, gegen wilde Warnschüsse wendet und verlangt, daß die Waffe angewendet wird, die zur Schmuggelbekämpfung auch wirklich geeignet ist? Das ist doch ein Streit um Worte, das ist doch Sophisterei. Die Beamten, die sich beschwerdeführend an mich gewandt haben, haben es jedenfalls so aufgefaßt, daß sie zur Verantwortung gezogen würden, wenn sie unnötigerweise Warnschüsse abgäben.

Damit zu Ihnen, Herr Kollege Dr. Mende! Meinerseits ist keinesfalls, mit keinem Satz, zum Ausdruck gekommen, daß ich die schwierige Lage der Zollbeamten in bestimmten Bezirken verkenne. Aber weil in der Vergangenheit im Hinblick auf die Vorfälle an einigen Grenzstellen mit Recht ein Schießerlaß notwendig war, ist es nicht notwendig, daß man gleich zum Einsatz schwerster Waffen, in diesem Falle zum Karabiner, in der Schmuggelbekämpfung greift, wenn es sich um ein Gebiet handelt, in dem seit Jahren keinerlei Aufgriffe erfolgt sind, von einem Einsatz gepanzerter Schmuggelfahrzeuge also einfach nicht die Rede sein kann. Wenn ich sage, daß hier nach meiner Auffassung eine Mißachtung des zivilen Lebens durch Leute, die Uniform tragen, zum Ausdruck kommt, dann stehe ich auch dazu. Es ist eine Mißachtung, die nicht nur von deutschen Menschen gezeigt wird, sondern von Uniformträgern aller Nationalitäten, wie wir es an den praktischen Beispielen jeden Tag merken. Wir müssen den Menschen zwar klarmachen können, insbesondere den Beamten des Zolls, daß sie des Schutzes des Staates bedürfen und gewiß sein können; wir müssen sie aber davor warnen, der Meinung zu sein, es sei ihre dienstliche Pflicht, auch in Fällen, von der Waffe Gebrauch zu machen, in denen nicht davon Gebrauch gemacht werden muß.

Sie müssen sich die Tatumstände bei Hermeskeil einmal ansehen, Herr Kollege Dr. Mende! Es ist ein beschämendes Zeugnis für diese vier Beamten, von denen drei motorisiert waren, die versucht haben, dem Schmuggler den Weg abzusperren, daß es ihnen nicht gelungen ist, zu vier Mann hoch die körperliche Leistungsfähigkeit aufzubringen, um dieses Mannes ohne Anwendung der Waffe habhaft zu werden.

(Abg. Dr. Mende: Das soll das Gericht feststellen; dann werde ich mein Urteil abgeben!)

Wir haben auf die Aussprache Wert gelegt, damit das Finanzministerium sich nicht mit der einseitigen, subjektiven, ein schlechtes Gewissen verratenden Darstellung des Hauptzollamtes begnügt, sondern unmittelbar daran geht, die Vorfälle zu prüfen, solange sie noch aktuell sind, um endlich einmal zu erreichen, daß hier die tatsächlich gegebenen Fakten geklärt werden; denn die disziplinarischen Maßnahmen, wie sie in der Vergangenheit üblich waren, haben doch zu keinem Ergebnis geführt. Wenn das Finanzministerium noch vier Wochen wartet, wird keiner der Beamten noch den Mut haben oder in der Lage sein, eine Aussage zu machen, die geeignet ist, den Mann zu belasten.

(Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

Ich erkläre ausdrücklich: wenn hier jemand vom Zoll schuldig ist, dann nach meiner Auffassung in erster Linie derjenige Leiter, der seine Beamten zu solchen Maßnahmen ermuntert bzw. aufgefordert hat.

(Beifall bei der SPD.)

Präsident Dr. Ehlers: Keine weiteren Wortmeldungen? – Ich schließe die Besprechung.

 

(Hervorhebungen im Original.)
Das Protokoll ist zu großen Teilen auch veröffentlicht in "SCHÜSSE AN EINER ANDEREN DEUTSCHEN GRENZE", © 1995 by SPOTLESS-Verlag Berlin,
ISBN 3 - 928999 - 55 - 9, Seiten 71 bis 89
Zum Ergebnis der gerichtlichen Überprüfung siehe Bundestagsdrucksache Nr. 13/8097 vom 27.06.1997, Seite 11.


 

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