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Straßburger Geschichtsfälschung 

 

Es ist erschreckend, mit welcher Ignoranz der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in seinem Urteil vom 22. März 200l an den tatsächlichen Gegebenheiten im besetzten Nachkriegsdeutschland vorbeigesehen hat. Es ist bedauerlich, wie die Richter in Strassburg das Wirken der allmächtigen Besatzungsmacht Sowjet-Union aus ihrem Gedächtnis offenbar ausradiert und die DDR-Deutschen zu den maßgebenden Herrschern und Bösewichten im damaligen Osteuropa hochstilisiert haben. Da heißt es in der amtlichen Zusammenfassung wörtlich:

"Die Beschwerdeführer waren daher für die Zustände, die an der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten vom Anfang der sechziger Jahre bis zum Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 herrschte, unmittelbar verantwortlich."

Eine solche geschichtsfälschende, ungeheuerliche Schuldzuweisung hat nicht einmal das Landgericht Berlin vorgenommen, das bekanntlich mit Krenz & Co. nicht zimperlich umging. Auf Seite 200 der Urteilsbegründung vom 25.8.1997 heißt es, die Kammer sei auf Grund der Aussagen der Zeugen und Sachverständigen zur Überzeugung gelangt, "dass die DDR im Sicherheitsbereich und in der Gestaltung des Grenzregimes nicht souverän war, sondern Entscheidungen in diesen Bereichen ausschließlich durch die zuständigen Dienststellen und Funktionsträger der Sowjet-Union getroffen wurden und eigene Entscheidungen der DDR nicht möglich waren." Das LG Berlin hat Egon Krenz u.a. lediglich vorgeworfen, sie hätten in Moskau "Gegenvorstellungen" erheben müssen und diese Unterlassung begründe den Vorwurf der mittelbaren Täterschaft. Mit dem Urteil aus Straßburg vom 22.3.01 ist die Sowjet-Union, Stalin, Breschnjew und Chrustchow und ihr Wirken als Besatzungsmacht in Ostdeutschland endgültig aus dem westeuropäischen Geschichtsgedächtnis ausradiert. 1 Million Rotarmisten in Jüterbog, Neustrelitz und Potsdam, KGB-Zentrale in Karlshorst, UDSSR - Statthalter Abrassimow in Ostberlin - das hat es offenbar nie gegeben. Wie diese Umschreibung der Nachkriegsgeschichte funktionierte, das habe ich in meinem Beitrag "Die Aburteilung des DDR-Grenzregimes durch bundesdeutsche Gerichts ist völkerrechtsvertragswidrig und verfassungswidrig" (Nov. 1999) dargelegt. 

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Es erscheint notwendig, die staats- und besatzungsrechtliche Entwicklung in Ostdeutschland nach 1945 nochmals akribisch aufzuzeichnen. Durch die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches im Mai 1945 und im Hinblick auf die Vereinbarungen der Siegermächte in Jalta im Jahr 1944 war der Sowjet-Union die oberste Gewalt über Ostdeutschland zugefallen. Bis zur Gründung der DDR im Jahre 1949 übte die Besatzungsmacht diese Souveränität allein aus. Dann gab sie, in Nachahmung des Umgangs der Westalliierten mit der BRD, die Souveränität "scheibchenweise" zurück, behielt sich jedoch die Souveränität über die Westgrenze ausdrücklich vor. Dies ergibt sich eindeutig aus der Aussage des ehemaligen Statthalters der UDSSR in Ostberlin Abrassimow am 9. Oktober 1996 im Deutschen Fernsehen mit seiner Kernaussage: Wir waren die Grenzherren. Das ergibt sich ebenso aus den Briefen des Sowjetmarschalls KULIKOW und des Armeegenerals Gribkow vom 7. Juni 1996 an das Landgericht Berlin. Der Antrag der Verteidigung, diese hohen Militärs der SU und des Warschauer Pakts als Zeugen zu hören, wurde abgelehnt. Nach dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO im Jahre 1955 wurde das Grenzregime von Seiten der Sowjet-Union verschärft. Die sog. innerdeutsche Grenze wurde suspendiert und durch einen Grenzsicherungsstreifen von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer ersetzt, verbunden mit rigorosen Abschottungsmaßnahmen. Der gesamte Grenzsicherungsbereich verblieb also unter der Hoheit der Besatzungsmacht. Soweit DDR-Grenztruppen Sicherungsdienst leisteten, waren sie lediglich Hilfsorgane der allein zuständigen sowjetischen Militärbehörden. In diesem Grenzbereich galt ausschließlich sowjetisches Militärrecht, insbesondere weiterhin die Schusswaffengebrauchsanweisung des Sowjet-Marschalls Sokolowski von 1947. Da der Grenzsicherungsbereich von der Rückübertragung von Souveränitätsrechten auf die DDR ausgenommen war, galten auch dort keine innerdeutschen Gesetze z.B. das Grenzgesetz der DDR. Es galt allenfalls für die übrigen Außengrenzen der DDR, nicht für die Westgrenze. Die Sowjet-Union ließ in allen von ihr okkupierten Ländern (z.B. Ostdeutschland, Tschechoslowakei, Ungarn) den Grenzsicherungsdienst durch ihre Satelliten ausführen - ohne jedoch die "Tatherrschaft" aufzugeben. Alle Satelliten waren getreu der Breschnjew-Doktrin von der eingeschränkten Souveränität der sozialistischen Staaten streng weisungsgebunden.

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Der Grenzdienst der DDR- Truppen war also, um mit einem Terminus des BVerfG zu sprechen, eine besatzungshoheitliche Tätigkeit (Vgl. BVerfG 84/90, 1 BvR 1452/90 u.a.). Für alle besatzungsrechtlichen oder besatzungshoheitlichen Tätigkeiten war jedoch zwischen der Sowjet-Union und der BRD kurz vor Abschluss des sog. 2+4 Vertrages vereinbart worden, dass alle diese Maßnahmen nicht revidiert werden dürfen und nicht nachträglich deutscher Gerichtsbarkeit unterliegen. Die Bundesrepublik hat diese völkerrechtliche Vereinbarung jedoch nur teilweise - nämlich auf dem Gebiet der Bodenreform - in innerstaatliches Recht umgesetzt und die Bodenreform deutscher Gerichtsbarkeit entzogen. Eine allgemeine innerstaatliche Freistellung ist bis heute nicht erfolgt, obwohl die Bundesrepublik dazu nach wie vor völkerrechtlich verpflichtet ist. Mit einer solchen Freistellung wäre auch der Grenzdienst der DDR an der Westgrenze der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen, die ganzen Verfahren müssten eingestellt und die bereits Verurteilten außer Verfolgung gesetzt werden. Ich habe dazu dem Bundestag im Rahmen meiner Petition v. 31.1.2000 den Entwurf eines "Ergänzungsgesetzes zum Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandenen Fragen vom 26. Mai 1952" vorgelegt. Es ist bezeichnend wie die Mächtigen in der BRD mit solchen unbequemen Eingaben umgehen. Das verfassungsmäßig garantierte rechtliche Gehör wurde mir schlechtweg verweigert, mein Beweisantrag auf Einvernahme des ehemaligen DDR - Außenministers Markus Meckel unter fadenscheinigen Vorwänden abgelehnt und die Petition kurzerhand verworfen. Es ist an der Zeit, dass sich die Russische Föderation als Rechtsnachfolgerin der Sowjet-Union auf ihre Fürsorgepflicht für ihre ehemaligen Hilfskräfte besinnt und bei der Bundesrepublik Deutschland die Erfüllung der vertraglich übernommenen Verpflichtung einfordert, wonach alle besatzungsrechtlichen und besatzungshoheitlichen Tätigkeiten von der deutschen Gerichtsbarkeit freizustellen sind. 

Helmut Walter
Rechtsanwalt
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RA Walther ist Mitglied der CDU

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